Mein Sohn soll irgendwann deine Tochter heiraten

Eine der Geschichten aus dem Alltag mit Kind, die mich sprachlos zurücklassen:

Meine Tochter (2) besucht eine Kinderkrippe. In ihrer Gruppe sind insgesamt 14 Kinder, nur 2 davon Mädchen. Wobei das nicht unbedingt etwas zu folgender Geschichte beiträgt. Wenn ich das Kind zur Krippe bringe oder abhole treffe ich andere Eltern mit ihren Kindern.

Dabei meinte eine andere Mutter neulich. „W. [meine Tochter] ist so süß. Also wenn P. [ihr Sohn] sie später einmal heiraten möchte, ich hätte nichts dagegen.“

Aha? Was geht denn hier ab? Leider bin ich nicht in der Lage darauf zu reagieren. Lächle nur freundlich und bleibe sprachlos.

Einige Tage später treffen wir dieses Mutter-Sohn-Duo wieder. Diesmal sagt die Mutter: „Na P., wie gefällt dir W.? Findest du sie auch süß? Also wenn du sie später einmal heiraten möchtest, meinen Segen hast du.“

Wo soll ich anfangen? Hat es einen Sinn mit ihr darüber zu sprechen? Ich bleibe wieder sprachlos.

Wieder einige Wochen später plaudere ich am Heimweg mit einer anderen Kindergartenmutter. Ihr Sohn und meine Tochter sind ebenfalls dabei. Die andere Frau sagt: „Also M. [ihr Sohn] versteht sich so gut mit W. Ich denke da hat P. gar keine Chancen.“

Hat das System? Ist das die Art und Weise wie hier Eltern über Kinder sprechen?

Gestern waren wir am Spielplatz und haben einige andere Kinder getroffen, die wir kannten. Ausschließlich Buben. Die Kinder haben mehr oder weniger miteinander gespielt. Wie das eben so abläuft unter Zweijährigen. Und wieder hat sich eine Mutter zu einer Bemerkung dieser Art hinreißen lassen:

„Na, W. hat aber schon viele Verehrer.“

Die Nachbarin mit der ich im Anschluss darüber gesprochen habe, findet dass Menschen nun einmal so reden. Sie haben das selbst in ihrer Kindheit so gehört und plappern es nur nach. Ich soll das nicht so ernst nehmen.

Ich nehme alles ernst was Sprache betrifft. Vor allem wenn ich der Meinung bin, dass diese Sprache eine Welt konstruiert, die ich weder für mich noch für mein Kind haben will.

Hier wird Hetero- und Paarnormativität konstruiert. Es wird schon den Kleinsten (auch wenn sie es nicht direkt verstehen) vermittelt, dass Heterosexualität die ideale Lebensform ist. Dass Mädchen süß sind und es als erstrebenswert gilt später ein süßes Mädchen zu heiraten. Mädchen werden als Objekte dargestellt (sie werden geheiratet). Eigenes Handeln scheint für sie nicht vorgesehen. Mädchen sind anders. Mit ihnen ist man nicht befreundet oder spielt mit ihnen. Man verehrt sie oder heiratet sie. Spätestens in zwei Jahren werden uns die Kinder erklären, dass das so ist.

28 Gedanken zu “Mein Sohn soll irgendwann deine Tochter heiraten

  1. Habe ich so noch nie in meinen ganzen Leben erlebt. Man lacht wenn die Jungen/Mädchen sagen das sie den anderen jeweil ganz bestimmt mal heiraten werden. Mehr ist es nicht.

  2. … ich kenne das auch von früher – allerdings in beide Richtungen (also, „hahn im korb“ und „so viele verehrerinnen!“) . bei meiner tochter ist mir das zum glück noch nie passiert; außer sprachlos – was sollte eine da schon sein. jede fiktive Antwort, an die ich gerade denke, erscheint ja doch nur unpassend in solch einer situation. (ein queer/feministischer fragen-antworten-katalog, das wär’s!)
    was ich aber andauern erlebe und was mich so ärgert, wenn andere Erwachsene mit meinem Kind spielen: jegliche Art von Puppen-, Stofftier, Playmobil- usw. -Figuren-Konstellation = Papa, Mama, Kind. Wobei der Vater natürlich immer der größte ist, die Mama die Rosa-ste oder die Süßeste. Das Blöde daran ist, dass das ja meist so schöne Spielsituationen sind, in die ich dann nicht kritisierend eingreifen mag (ist ja auch fürs Kind schwierig, wenn ich da Unruhe reinbringen wegen etwas, das sie vermutlich noch nicht versteht). Ich beiße mir also auf die Lippen, versuche es selber anders zu tun und hoffe, dass meine Vorbildwirkung sich irgendwie niederschlägt.

    • bei umgekehrt, also: ein bub hat so viele verehrerinnen bzw. ist „hahn im korb“ geht es aber dann darum, dass er das glück hat sich „eine aussuchen zu können“, oder?
      ich habe bis jetzt auch keinen ausweg aus dieser sprachlosigkeit gefunden. es selber anders machen und mit den kindern darüber sprechen, spätestens sobald sie es nachvollziehen können, ist sicher ein guter weg…

  3. „Ich hätte geantwortet: Klar, kann dein Sohn meine Tochter heiraten, aber nur wenn du ihm bei bringst, wie man ordentlich den Haushalt führt. Dir ist schon klar, das meine Kleine als Astrophysikerin viel beschäftigt sein wird, oder?“ Nehmt doch sowas nicht so ernst! Da haut man mal ein, zwei lockere Sprüche raus und dann ist gut.

    • „Nehmt doch sowas nicht so ernst, haut lockere Sprüche raus.“

      Wenn Du das kannst. Schön für Dich. Ehrlich. Außerhalb des Internets kriege ich das in ca. 0,0001 Prozent der Fälle hin, egal um was es geht. Belästigung. Solch überflüssigen Sprüchen gegenüber Kindern. Anderem Scheiß der mir nur passiert, weil ich eine Frau bin.

      Ich will mich da gar nicht locker machen. Das ist alles überflüssig und kein Smalltalk, sondern tut weh. Sexuelle Belästigung: tut weh. Solch normative Sprüche zu hören und zu merken, dass eine selbst da nicht reinpasst: tut weh. Ich will mich nicht locker machen, wenn ich Schmerzen hab.

      Also, Daumen hoch für alle, die sich sowas nicht gefallen lassen. Aber Daumen runter für „mach Dich mal locker“.

      • Ich kann mich deinem Kommentar nur anschließen und ich habe auch keine Lust mich schlecht oder schuldig zu fühlen, weil ich nicht (immer) in der Lage bin zu reagieren.

  4. Ich sag dann tatsächlich gern: ja oder sie verliebt sich in ein hübsches Mädchen, das Sucht sich meine Tochter dann später selbst aus ne? Glücklich soll sie sein, der Rest ist ja ganz egal.
    Dazu Zwinker ich dann ne runde dümmlich vor mich hin und rege mich innerlich über die Beschränktheit der Menschen auf.
    Ich kenne das gut. Leider.

  5. Absolut treffend, Deine Beobachtungen und das Resumee. Ich habe es verrückterweise genauso erlebt. Nicht ganz mit der Hartnäckigkeit, aber eben doch immer mal wieder dieser Bemerkungen. Ich war auch immer sprachlos, weil mir dieses Konzept wie diese Eltern über ihre Kinder sprechen, nicht einleuchten wollte. Ich habe es als ein merkwürdig formuliertes Kompliment über die Niedlichkeit meiner Tochter verstanden. Wobei mich eben der Grund, warum das überhaupt ein Kompliment sein kann (soll begehrenswert sein) sehr abtörnte.

    • Danke für deinen Kommentar. Ich denke die Hartnäckigkeit ergibt sich eher durchs Aufschreiben. Im Alltag geht sowas oft unter. Ich habe es auch so erlebt, dass es die Idee ist dem Kind und damit den Eltern ein Kompliment zu machen. Deshalb ist es besonders schwierig zu reagieren. Es gehört sich nicht ein Kompliment nicht zu wollen oder nicht als solches zu empfinden, obwohl es mehrheitlich als positiv gesehen wird.

  6. Die haben doch echt ein Rad ab. Habe so was noch kaum gehört, aber habe ja auch drei Jungs. Die werden nicht geheiratet, die werden Fußballer und alles andere auch. Haha.

  7. Ich finde solche Sprüche auch unangebracht. (Also ganz generell)
    Neben Heteronormativität sehe ich noch: „Ich sage dir (mein Kind, denn das ist halt mein Job als Elter) wen du dir nehmen darfst (nehmen- nicht nur aussuchen/gut finden/ das Verhältnis normal finden) und eine gewisse Sexualisierung (Verehrer? Ein Kleinkind?! Hallo?!) die unangebracht ist.
    Ich glaube auch, dass es unhinterfragtes Nachgebabbel ist. Da wo du schweigst, pflanzen sie halt das hin.
    Ich habe die Hoffnung, dass eine Artikulation der eigenen Sprachlosigkeit einen Reflektionsprozess bei diesen Menschen in Gang bringen kann. „Also weiß du, was du da grad gesagt hast macht mich echt sprachlos!“
    (Ich hab jetzt nicht viel im Blog herumgelesen, vielleicht sind solche Hoffnungsäußerungen/ Vorschläge nicht erwünscht- > vorsorgliche Entschuldigung )

    Viele Grüße

    • Die Strategie find ich auch nicht schlecht.
      Ich hab’s auch oft satt, immer gleich das feminismus 101-faß aufzumachen, also stell ich mich manchmal auch ganz diplomatisch „blöd“. So… „Warum sollte meine Tochter sich denn nicht als Cowboy verkleiden? Das Problem versteh ich jetzt nicht.“

  8. Danke für diesen Text! Oh die Sprachlosigkeit, die eine ereilt, wenn bei einer Spielgruppe aus 10 Monate alten Kindern die vier Mädchen auf die drei Jungen ‚aufgeteilt‘ werden und dann zwangsläufig eine ‚übrig bleibt‘. –> Die Arme! heißt es dann.
    Ich wäre in diesen Momenten sehr dankbar, durch eine sachliche Bemerkung Denkanstöße liefern zu können, ohne gleich ein ganzes Fass aufzumachen.

  9. Krass finde ich auch, dass hier nicht nur eine Heteronormativität reproduziert wird sondern oftmals (nach meinen Spielplatz-Erfahrungen) ebenfalls eine Körper- und Schönheitsnormativität. Für gut befunden wird, wenn Jungs sich ‚hübsche‘ Mädchen aussuchen (‚der hat ja schon einen guten Geschmack‘). Mädchen wiederum sollen sich ‚clevere‘ Jungs aussuchen, unabhängig von ihrem Aussehen. Mädchen wird viel eher beigebracht, auf die ‚inneren Werte‘ zu achten während es für Jungs legitim bleibt, nach äußerer Erscheinung zu selektieren (’so sind wilde Jungs eben‘). Mädchen dürfen zwar heute öfters wild, laut und frech sein aber sie sollen bitte auch hübsch/niedlich/süß dabei bleiben. ‚Burschikose‘ Mädchen werden eher selten in die Eheplanungen vieler Eltern einbezogen.

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  11. Danke fuer Deinen Text, er spricht mir aus dem Herzen.
    Ich kenne das v.a. auch aus meiner eigenen Kindheit: In der Krabbelgruppe hatte ich einen besten Freund – in Erzaehlungen ist er immer ‚meine erste grosse Liebe‘; mein Cousin und ich waren als Kinder unzertrennlich – auch ‚die wahre Liebe‘. Was ist mit meiner besten Freundin, mit meiner Cousine, mit alle den wichtigen, engen Freundinnen? Warum blieben sie immer das – Freundinnenschaften – und wurden nie zu Liebe erklaert?
    Meine Familie ist super offen, meine Eltern haben sich viele Gedanken ueber unsere Erziehung gemacht, haben unser Kind-Sein, nicht unser Maedchen-Sein, betont und uns trotzdem darin unterstuetzt, starke Frauen* zu werden. Aber erst mit 20 habe ich mir eingestehen koennen, dass meiner Erziehung trotz allem heteronormativ war und gemerkt, wie stark das meine Sichtweise auf meine eigene Sexualitaet beeinflusst hat.
    Von dem her: Es sind nicht einfache Small-Talk-Kommentare, es sind Gedanken, die sich in Kindern festsetzen (und wie Alice schrieb, es ist nicht nur die Reproduktion von Hetero-, sondern auch von Koerper- und Schoenheitsnormativitaet) und ich kann sehr gut verstehen, dass solche Kommentare erst einmal sprachlos machen.

    • Ja, zum Glück sagen Eltern nicht (mehr) „du musst später xy heiraten“. Es geht hier um eine Erwartungshaltung, die den Kindern vermittelt wird. Es wird ihnen gezeigt, was angeblich „gut“ und „richtig“ ist in unserer Welt.

  12. Puh… vor allem auch gleich noch HEIRATEN. (Darf ich fragen, ob Du verheiratet bist? Ist das ein Seitenhieb auf Dich evtl.? Denn Sinn macht das ja nicht…)
    Ich würd denen klar sagen, sie sollen aufhören, meine 2jährige Tochter unter ihren Söhnen zu verschachern!

  13. Ich habe etwas sehr ähnliches erlebt. Ab und zu, wenn ich mit meiner 4-jährigen Tochter unterwegs bin, treffe ich auf einen anderen Vater und seinen Sohn aus ihrem Kindergarten. Fast jedes Mal motiviert dieser Vater seinen Sohn, meine Tochter mit irgendwelchem Gehabe zu beeindrucken. Mal setzt er ihn auf ein Motorrad am Straßenrand, oder sagt, er solle mal ganz schnell mit dem Fahrrad fahren. Meine Tochter zeigt kein Interesse und ich bin jedesmal etwas sprachlos.
    Im Übrigen will meine Tochter sowieso ihre beste Freundin heiraten, wenn sie groß ist. Schön, dass ihr das bisher niemand ausgeredet hat. 🙂

  14. Was ich dazu sagen würde:
    „Heiraten??? – Du denkst aber schon weit in die Zukunft!“Oder:“Heiraten??? – Meinst Du, das ist überhaupt noch „in“, wenn die zwei mal groß sind? Machen doch heute schon immer weniger Leute.“ Damit würde ich signalisieren, dass es Unsinn ist, sich bei Kleinkindern über potenzielle spätere Partnerinnen oder Partner Gedanken zu machen. Und dann das Thema wechseln, zum Beispiel nach dem Job fragen oder der geplanten Rückkehr in diesen. Wichtig finde ich die Reaktion auf spätere Fragen der Kinder: „Kann ein Mann auch einen Mann heiraten?“ – „Ja, das geht.“ Oder: „Muss ich später mal heiraten?“ – nein, nur, wenn Du willst.“ später

  15. Pingback: Ritterhochzeit im Kindergarten

  16. Ich kann verstehen, dass Euch solche Kommentare Nahe gehen (auch wenn es nur saudoofer Smalltalk ist…). Euren Kindern sicher nicht. Nicht in dem Alter. 2 Jahre, hallo? Der Horizont dieser kleinen Menschen ist so so klein. Selbst mit 4 Jahren glauben Kinder immer noch, dass sie ihr Geschlecht wechseln können. Sie sind sich gar nicht darüber bewußt was es heißt Mädchen oder Junge zu sein. Die Stereotypen kommen von Euch selbst. <<< Das sollte zur Beruhigung dienen. Auch wenn es nicht den Anschein hat.

  17. @Arlene: Gibt es eine Quelle, wo mensch das nachlesen kann (Geschlecht wechseln usw.)? – Nicht als Angriff gemeint, würde mich nur interessieren, wenn es dazu irgendwelche Veröffentlichungen gibt.
    @topic: Unklar. Sexistischer, normativer Mist. Und alltäglich, leider. Hatte auch „Kindergartenfreundinnen“ und „Sandkastenliebe“. Bin mir da nicht mehr so sicher.

  18. Womöglich sollte man hier und da anfangen, doch etwas ehrlicher zu werden. Ich lese immer wieder, dass die Betroffenen, (ich bin natürlich auch eine Betroffene), verärgert oder verunsichert ihre Lippen zusammen beißen, aber im Grunde nicht wirklich auf so einen Unfug reagieren. Die Angst liegt vielleicht darin, dass man nicht anecken will. Aber Feminismus klärt auf und Aufklärung bedeutet oftmals, dass man aneckt. Es darf doch sehr wohl in Ordnung sein, dass man hier seinem Gegenüber mitteilt, dass man nicht sehr amüsiert über solche Phrasen ist. Und seinem Kind nimmt man damit m.E. rein gar nichts. Eher wächst es damit auf, dass eine ehrliche Meinungsäußerung ebenfalls etwas völlig ist bzw. sein sollte.

    Mein Kommentar dazu kommt etwas spät. Das Thema liegt schon längere Zeit zurück. Aber vielleicht teilt mir die eine oder andere Person noch ihre Gedanken dazu mit.

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